Objekt des Monats April 2023
Fotoetui aus dem Diezer Schuhhaus Meyer, um 1914-18
Im Jahr 1857 wurde, auf der Grundlage von Gerbereien an der Heistenbacher Unterdorfstraße nahe der Lahn, die nach ihrem Gründer benannte Firma Adolph (Adolf) Meyer in Diez gegründet. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich das jüdische Unternehmen zum regional bedeutenden Produzenten von Schuhen (Markenname „Decia“) und anderen Lederwaren weiter, sodass das Firmenhaus am Marktplatz 8 um 1910 großzügig umgebaut werden konnte. Die damals geschäftsführende Generation, Otto und Johanna Meyer mit den Töchtern Liesel und Marie, gehörte zu den angesehenen und wohlhabenden Familien der Stadt. Otto Meyer war in den Jahren des Ersten Weltkriegs Stadtratsmitglied.
Aus dieser Zeit stammt ein aus Lederimitat gefertigtes Etui zur Aufbewahrung von zwei Fotografien. Auf der Vorderseite ist unten in Goldfarben die Adresse des Leder- und Schuhwarenhauses Meyer zu lesen, darüber als Haupttitel: „Das Gold dem Vaterlande“ mit Eisernem Kreuz. Der Schriftzug ruft zur Abgabe von Gold für die Kriegswirtschaft auf. Ähnliche Aufrufe waren auch in anderen Formen weit verbreitet. Die Fotos im Innern des Etuis wurden durch Stoffbänder in den Reichsfarben schwarz-weiß-rot befestigt. Der offenkundige Patriotismus der Gestaltung deckt sich mit der persönlichen Haltung des Geschäftsinhabers Otto Meyer. Dieser hatte u.a. 1919 und 1920 hunderte Paare von Kriegsstiefeln und Holzsandalen für die arme Bevölkerung gespendet. Wie Meyer, so waren viele assimilierte Juden des Kaiserreichs eifrige deutsche Patrioten, darunter Persönlichkeiten, wie der Fabrikant und spätere Außenminister Walther Rathenau oder der bedeutende Chemiker Fritz Haber.
In späteren Jahren wurde das patriotische und soziale Engagement deutscher Juden immer weniger gewürdigt. Rathenau wurde schon 1922 von Mitgliedern der rechtsradikalen Organisation Consul erschossen, Haber erlebte noch den Beginn der NS-Herrschaft und starb 1934 im Exil. Die wohlhabende Familie Meyer wurde durch Boykottmaßnahen und „Arisierung“ ausgeplündert und musste 1939 auswandern. Damit endete ein bedeutendes Kapitel jüdischer Bürgerlichkeit in Diez. Das Fotoetui ist eine freundliche Leihgabe aus Privatbesitz.
Dieses einzelne Relikt wird die ab dem 14. April zu sehende Wanderausstellung 1700 Jahre Jüdisches Leben in Rheinland-Pfalz um einen kleinen Diezer Aspekt ergänzen.